07/04/2025| Ahura Bassimtabar

 Rethink Pain 3/3: Warum wir Mut zur Veränderung brauchen - ein Aufruf an alle Therapeuten.

Veränderung ist oft unbequem. Sie fordert uns heraus, unsere gewohnten Denkmuster zu durchbrechen und Neues zuzulassen. Warum fällt es uns so schwer, liebgewonnene Überzeugungen loszulassen? Unbekanntheit bedeutet Unsicherheit. Loslassen von Routinen bedeutet Ungewissheit über den Effekt neuer Routinen. Eine Kalkulation, die defensiv betrachtet sinnvoll erscheint und womöglich auch evolutiv in uns verankert ist. Aber das kann man nicht pauschal so hinnehmen. Der Mensch hat nicht nur überlebt, weil er sich in Gefahrensituationen zurückgezogen hat, sondern weil es sich ständig neu erfunden hat. Anpassung ist das Stichwort.

Als gutes Beispiel voran gehen

Als Therapeuten fordern wir täglich von unseren Patienten Veränderung: neue Bewegungsmuster, andere Denkweisen, angepasste Verhaltensweisen. Jemanden zu verändern, bzw. jemanden zur Veränderung zu animieren, zu motivieren und zu begleiten, ist eine Wissenschaft für sich. Das Unterkapitel 5.4. meines neuen Fachbuches „Schmerzmanagement“ lautet Changemanagement und widmet sich diesem Thema. Doch wie steht es um unsere eigene Veränderungsbereitschaft? Die Schmerztherapie steht heute vor einem Wendepunkt, der von uns allen Veränderung verlangt. Diese Veränderung beginnt im Kopf, in unseren tief verwurzelten Überzeugungen. Vor allem müssen wir bereit sein, unsere eigenen Praktiken kritisch zu hinterfragen.

Die Komfortzone des Bekannten

Das Festhalten an vertrauten Konzepten und Behandlungsmethoden gibt uns Sicherheit. Wir haben jahrelange Erfahrung damit gesammelt, kennen die Abläufe, fühlen uns kompetent. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder alternative Behandlungsansätze können da durchaus bedrohlich wirken. Sie stellen nicht nur unser Fachwissen in Frage, sondern oft auch unsere berufliche Identität. Der Komfort des Bekannten und verschiedene kognitive Verzerrungen erschweren zusätzlich den Veränderungsprozess. Psychologisch gesehen fällt es Menschen grundsätzlich schwer, Altbewährtes aufzugeben. Dies gilt besonders in einem Berufsfeld, wo wir täglich wichtige Entscheidungen treffen müssen.

Der Weg zur Veränderung

Echte Veränderung beginnt mit Akzeptanz. Erst wenn wir den Status quo ehrlich analysieren und anerkennen, können wir uns weiterentwickeln. Dies erfordert Mut zur Selbstreflexion: Welche meiner Überzeugungen basieren auf Evidenz, welche auf reiner Gewohnheit? Eine genaue Messung und Dokumentation der aktuellen Situation ist dabei unerlässlich. Nur durch die Akzeptanz des Ist-Zustands können Veränderungen zu einem Soll-Zustand herbeigeführt werden. Die kontinuierliche Neubewertung und Anpassung unserer Strategien ist ein wesentlicher Teil dieses Prozesses.

Die Rolle der Extreme

Interessanterweise führt der Weg zur ausgewogenen Mitte oft über Extreme. Wer jahrelang einen rein biomechanischen Ansatz verfolgt hat, schwört vielleicht zunächst auf ausschließlich psychosoziale Interventionen, bevor er eine Balance findet. Diese Pendelbewegung ist normal und Teil des Lernprozesses. Menschen tendieren dazu, von einem Extrem ins andere zu wechseln, bevor sie eine ausgewogene Position finden. In der Schmerztherapie bedeutet dies oft, dass der Weg von einer rein biomedizinischen Sichtweise zu einem ausgewogenen bio-psycho-sozialen Ansatz über eine Phase führt, in der psycho-soziale Faktoren überbewertet werden.

Strategien für den Wandel Erfolgreiche Veränderung braucht Struktur. Sie beginnt mit der klaren Identifikation des Problems, gefolgt von einer ehrlichen Bestandsaufnahme. Wichtig sind:

  • Kleine, realistische Schritte statt radikaler Umbrüche
  • Regelmäßige Reflexion und Anpassung der eigenen Praxis
  • Austausch mit Kollegen und Offenheit für Feedback
  • Kontinuierliche Weiterbildung und Auseinandersetzung mit aktueller Forschung

Ein Prozess für beide Seiten

Therapeutische Veränderung ist ein wechselseitiger Prozess. Wenn wir von unseren Patienten Offenheit für neue Ansätze erwarten, müssen wir selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Das bedeutet auch, eigene Unsicherheiten einzugestehen und gemeinsam mit den Patienten zu lernen und zu wachsen. Ein wesentlicher Aspekt ist die Edukation – sowohl unsere eigene als auch die unserer Patienten. Nur wenn beide Seiten verstehen, wie Schmerz entsteht und welche Faktoren ihn beeinflussen, kann eine erfolgreiche Therapie stattfinden. Die Herausforderung besteht darin, diesen Prozess so zu gestalten, dass er nicht zu neuen Problemen führt.

Die Physiotherapie entwickelt sich ständig weiter. Bleiben wir offen für Veränderung – sie ist der Schlüssel zu besseren Behandlungsergebnissen und größerer beruflicher Zufriedenheit. Denn am Ende geht es nicht darum, alte Überzeugungen komplett über Bord zu werfen, sondern sie durch neue Erkenntnisse zu ergänzen und weiterzuentwickeln. Change Management in der Schmerztherapie ist ein komplexer Prozess, der Geduld, Empathie und strategisches Denken erfordert. Es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der Notwendigkeit von Veränderungen und der Beibehaltung bewährter Praktiken.

Die nächste Artikelreihe wird wieder ein Dreiteiler. „Reflektiertes Denken 1/3“ erscheint in 2 Wochen! Let‘s go und immer weiter nach vorne!

Vergiss nicht dich für den Newsletter anzumelden, um nichts zu verpassen. 👇🏼

Melde dich hier an und erhalte regelmäßig Blogartikel automatisch per Mail zugeschickt.

  • kostenlos
  • werbefrei
  • regelmäßig